90 Jahre Sperrfrist für Akteneinsichtsersuchen in Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichts?

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Justizia © Liz Collet

Das Plenum des Bundesverfassungsgerichts will in die Geschäftsordnung eine einheitliche Sperrfrist für die Gewährung von Akteneinsichts- und -auskunftsersuchen Dritter in Verfahrensakten von 90 Jahren gerechnet ab der Verkündung einer Entscheidung aufnehmen.

Dagegen spricht sich die Resolution des Deutschen Rechtshistorikertages in Münster vom 15. September 2010 aus.

Das Vorhaben beeinträchtige die Erforschung der Zeitgeschichte erheblich, sei im Hinblick auf die Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit bedenklich und stehe im Übrigen im Widerspruch zu den gesetzlichen Regelungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes sowie des Bundesarchivgesetzes steht.

Deren Auffassung liegt einem Antrag im Bundestag zugrunde, der in den kommenden Tagen im Plenum des Bundestages behandelt werden soll.

Die bestehenden Sperrfristen für Akteneinsichts- und -auskunftsersuchen Dritter – insbesondere im Bundes-archivgesetz – seien auch nicht mehr zeitgemäß  und müssten verkürzt werden. Sperrfristen von 30 Jahren und mehr für die Einsicht in Vorgänge der öffentlichen Gewalt liessen  sich auf die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen. Kürzere Sperrfristen tragen den seit dieser Zeit gewandelten politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung. Die stetige Verbesserung der Partizipation an und der Kontrolle der öffentlichen Gewalt durch Bürgerinnen und Bürger – Bestrebungen, die nicht zuletzt ihren Niederschlag im Informationsfreiheitsgesetz gefunden haben –, seien für einen zukunftsfähigen modernen demokratischen Rechtsstaat selbstverständlich.

Die rasante Entwicklung zu einer Informations- und Wissensgesellschaft, vorangetragen durch die zunehmende, alle Lebensbereiche durchdringende Digitalisierung, lasse auch auch die Halbwertszeit von Informationen, die Dauer sowie die Relevanz von Entschei- dungsprozessen immer stärker zurückgehen.

In einem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE „Akteneinsichtsrechte Dritter in Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichtes stärken“ wird daher beantragt, dass der Deutsche Bundestag  die Bundesregierung auffordern solle, einen Gesetzentwurf vorzulegen,

1. der die Akteneinsicht- und -auskunftsrechte Dritter im Bundesverfassungs- gerichtsgesetz nach Vorbild des Bundesarchivgesetzes konkretisiert sowie einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Versagung der Akteneinsicht oder -auskunft vorsieht;
2. der die Angebots- und Übergabepflicht sämtlicher Verfahrensakten des Bundesverfassungsgerichtes an das Bundesarchiv nach Maßgabe von § 2 des Bundesarchivgesetzes auch im Bundesverfassungsgerichtsgesetz aufnimmt;
3. die Sperrfristen im Bundesarchivgesetz um 20 Jahre verkürzt.

Die Frage betrifft unter anderem auch das Verhältnis der GO-BVerfG und des BVerfGG (dort §§ 35a-c BVerfGG) als höherrangigem Recht gegenüber der Geschäftsordnung (dort § 36 GO-BVerfG), die sich das Bundesverfassungsgericht selbst gibt bei der Frage der Gewährung des Akteneinsichtsrechts ausserhalb des Verfahrens an Dritte.

Der Antrag ist Gegenstand der  204. Sitzung, Donnerstag, 08.11.2012 im Bundestag.

Quelle: Tagungsordnung Bundestag 204. Sitzung, Donnerstag, 08.11.2012

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