Heute beim BGH: Der Göttinger Transplantationsskandal

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Option ohne Pflicht © Liz Collet

Heute um 10 Uhr ist beim 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes die Verhandlung zur Revision terminiert, welche die Staatsanwaltschaft Göttingen gegen den Freispruch des Landgerichts Göttingen in dessen Urteil vom 6. Mai 2015 eingelegt hatte.

Die Verhandlung findet – das en passant angemerkt – im Gebäude des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig statt.

Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, im Zuge von in den Jahren 2010 und 2011 durchgeführten Lebertransplantationen durch Verletzung der Regeln zur Organverteilung versuchten Totschlag in elf Fällen und aufgrund nicht gegebener medizinischer Indikation Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen begangen zu haben.

Nach Beschränkung ihres Rechtsmittels beanstandet die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, dass der Angeklagte vom Vorwurf des versuchten Totschlages in acht Fällen freigesprochen worden ist.

BGH – 5 StR 20/16, Vorinstanz: Landgericht Göttingen – Urteil vom 6. Mai 2015 – 6 Ks 4/13

Anmerkung:

Bei den in Göttingen bekannt gewordenen Fällen handelt es sich um einen der mehreren Skandale rund um die Nichteinhaltung der geltenden Vorschriften bei der Organverteilung, die an mehreren Kliniken bekannt geworden sind. Geradezu mantrahaft werden diese als blosse Einzelfälle bezeichnet und behauptet – seitens der Kliniken, der an den Vorfällen verantwortlich beteiligten Personen und Institutionen und von denjenigen, die für Einhaltung und Überprüfung der Einhaltung der gesetzlichen Regelungen zuständigen Stellen, Gremien, Überwachungs- und Prüfungskommissionen und Ministerien. Angebliche und nicht vorhersehbare oder verhinderbare Einzelfälle, die – auch das mantrahaft wiederholt im Göttinger, wie den Fällen in Regensburg und München – zudem durch geänderte Regelungen nicht mehr geschehen könnten.

Dass dies vorhersehbar war, konnte man seit Inkrafttreten des TPG 1997 prognostizieren (ich habe das mehrfach seither getan). Dass es keine Einzelfälle waren und bleiben würden, war nicht erst seit dem Göttinger und den weiteren Fällen offenkundig und durch das mantrahafte Beschwören des Gegenteils durch BÄK und andere bestenfalls als Öffentlichkeitsplacebo evident für jeden, der die rechtlichen Regelungen, die Strukturen und die Richtlinien (und deren Änderungen), die Zusammensetzung der Gremien, die diese Richtlinien verfassen und ändern und weitere Details des Systems des TPG und der Institutionen seit 20 Jahren, also mindestens seit Geltung des TPG kennt und beobachtet.

Dass und wie wenig seit den genannten Skandalen und Regelverstössen u.a. in Göttingen, Münster, Berlin, Leipzig, Jena, München, Hamburg und Regensburg nur Einzelfälle gegeben sind und auch seither nicht und schon gar nicht durch angeblich nun vorhandene Sicherungsmassnahmen dagegen verhindert werden, zeigt der neuerliche Fall von Verstössen gegen TPG und Richtlinien. Dieser ist zudem von einer geradezu dreisten Verteidigungstaktik gekennzeichnet, die sich expressis verbis darauf beruft, dass – offenbar und jedenfalls für die dort gegen TPG und Richtlinien nachweislich verstossenden Beteiligten in Essen – weder die Richtlinien, noch das TPG, noch die zur Kontrolle bestimmten Gremien ganz generell und grundsätzlich für das TPZ in Essen zu respektierende Regeln und Gremien seien. Die besondere Dreistigkeit einer solchen „Argumentation“ liegt nicht etwa darin, dass man neuerdings einen gewissen Wert und Charme in der rechtsdogmatischen Grundfrage des Gesetzesvorbehaltes für Allokationsregeln entdeckt, der nie zuvor irgendjemandem in den Sinn gekommen wäre. Dass auch ich diese Frage seit 20 Jahren öffentlich und bei einer Reihe von Kongressen der Transplantationsmedizin referierte und publizierte – geschenkt.

Dass das diejenigen, die diese Regeln anwenden wollten und sollten, nicht in Frage stellten, hatte schlicht einen ganz banalen Grund.

Der in der Entstehungsgeschichte des TPG und der Richtlinien liegt und vor allem daran, wer an deren Abfassung selbst mitstrickte und für sich beanspruchte, diese – anstelle eines Gesetzgebers oder auch nur eines Ministeriums – allein und als einzig kompetente Experten beurteilen und abfassen und als Richtlinien bestimmen zu können. Und das waren und sind die Vertreter der Transplantationsmedizin und der sog. Transplantationskliniken (seit TPG 1997 als solche erst „zuzulassende“ Transplantationszentren) selbst.

Dass man nun mit dem Einwand des Gesetzesvorbehaltes für Richtlinien Verteidigungspotential aus den neuerlichen Vorfällen nun in Essen zu zuzeln sucht, nachdem zuvor Böcke zu Gärtnern – bei der Abfassung und Änderung von Richtlinien und in der Zusammensetzung der Prüfungs- und Überwachungskommissionen – machte, spiegelt eine ungeheuerlich zu nennende Steigerung der Schamlosigkeit im Umgang mit geltendem Recht und nach Entdeckung und Veröffentlichung nicht endender und unverändert nicht verhinderter Verstösse gegen geltendes Recht.

Über Liz Collet

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