Bundesverfassungsgericht zu Klagen der Stromkonzerne Eon, RWE und Vattenfall wegen Enteignung durch beschleunigten Atomausstieg

Bundesverfassungsgericht © Liz Collet

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Das Bundesverfassungsgericht entscheidet heute über Klagen der Stromkonzerne Eon, RWE und Vattenfall nach den und auf der Grundlage der Verhandlungen am 15. März 2016 und Mittwoch, dem 16. März 2016 über drei Verfassungsbeschwerden gegen Vorschriften des Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. Juli 2011.

Diese sehen sich durch den beschleunigten Atomausstieg nach dem Reaktorunglück von Fukushima enteignet.

Wäre diese Auffassung rechtlich zutreffend, stünden Entschädigungsansprüche im Raum. Die damalige Koalition hatte 2011 eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke rückgängig gemacht. Stattdessen beschloss die Regierung, dass Deutschland bis zum Jahr 2022 nach und nach aus der Kernenergie aussteigt.

Mit dem Dreizehnten Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes (im Folgenden: 13. AtG-Novelle) beschloss der Gesetzgeber eine Beschleunigung des Ausstiegs aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Beschwerdeführerinnen sind die Kernkraftgesellschaften von drei der vier großen in Deutschland tätigen Energieversorgungsunternehmen sowie eine Kernkraftwerksbetriebsgesellschaft.

Die ursprüngliche Entscheidung für einen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie erfolgte bereits durch die von der damaligen Regierungskoalition initiierte Ausstiegsnovelle im Jahr 2002. Kern dieses Gesetzes, dem eine Vereinbarung zwischen der damaligen Bundesregierung und den vier großen Energieversorgungsunternehmen vorausgegangen war, stellte die Befristung der Nutzung der vorhandenen Kernkraftwerke dadurch dar, dass den einzelnen Kernkraftwerken Reststrommengen zugeteilt wurden, bis zu deren Verbrauch sie betrieben werden durften.

Nach der Bundestagswahl 2009 verfolgte die neu gewählte Bundesregierung ein verändertes Energiekonzept, das – unter anderem – zu einer Gewährung zusätzlicher Reststrommengen und damit einer Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke um durchschnittlich 12 Jahre durch das Elfte Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 8. Dezember 2010 (im Folgenden: 11. AtG-Novelle) führte.

Infolge des Tsunamis vom 11. März 2011 und des dadurch ausgelösten Schmelzens von Reaktorkernen des Kernkraftwerks Fukushima in Japan erfolgte in Deutschland eine neuerliche Umorientierung. Zunächst kam es bereits Mitte März 2011 zu einer behördlich verfügten vorläufigen dreimonatigen Einstellung des Leistungsbetriebs von sieben Kernkraftwerken. Dieses sogenannte „Atommoratorium“ ist nicht Gegenstand vorliegender Verfassungsbeschwerden.

Mit der hier angegriffenen 13. AtG-Novelle hat der Gesetzgeber die Ausstiegsnovelle aus dem Jahr 2002 in der Weise abgeändert, dass er feste Abschaltdaten für die Kernkraftwerke gesetzlich verankert hat, innerhalb derer sie die ihnen 2002 zugewiesenen Reststrommengen verbrauchen mussten. Zugleich hat er die im Herbst 2010 durch die 11. AtG-Novelle erfolgte Zuteilung der zusätzlichen Strommengen rückgängig gemacht.

Mit den vorliegenden Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführerinnen eine

  • Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 14
  • und Art. 12 GG
  • sowie Art. 3 Abs. 1 GG.

Sie sehen in der Streichung der durch die 11. AtG-Novelle gewährten Strommengen und der Festlegung fester Abschalttermine durch die 13. AtG-Novelle eine Enteignung verschiedener vom Schutzbereich des Art. 14 GG erfasster Rechtspositionen. Mangels gesetzlich vorgesehener Entschädigungsregelung sei die 13. AtG-Novelle verfassungswidrig. Selbst wenn in den Regelungen der 13. AtG-Novelle keine Enteignung, sondern eine Inhalts- und Schrankenbestimmung zu sehen sei, genügten diese nicht den formellen verfassungsrechtlichen Anforderungen an Gesetzesbegründung und Tatsachenermittlung. Materiell entspreche das angegriffene Gesetz nicht dem Verhältnismäßigkeits- und dem Vertrauensgrundsatz; zudem führe die Festlegung fester Abschalttermine zu einer erheblichen Ungleichbehandlung, die den Anforderungen aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht genüge. Die Verfassungsmäßigkeit der 13. AtG-Novelle hätte allenfalls durch einen kompensatorischen finanziellen Ausgleich hergestellt werden können. Schließlich führe die 13. AtG-Novelle zu einem nicht gerechtfertigten Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit der Betreiber von Kernkraftwerken.

Die grundsätzliche Bedeutung der heute zu erwartenden Entscheidung liegt in der Frage, ob politische Grundsatzentscheidungen wie die Wende in der Politik zur Atomkraft im Allgemeinen Entschädigungsansprüche von Firmen begründen können. Damit könnte die Entscheidung auch Auswirkungen auf andere Branchen als die Energiekonzerne entfalten, die mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Morgenluft schnuppern und das eigentliche Unternehmensrisiko dem Staat, dem Staatshaushalt und damit dem Bürger und Steuerzahler aufbürden, aus- und entlagern könnten. Eine solche Verlagerung der Lasten und Verluste auf öffentlichen Steuerhaushalt bei Aufrechterhaltung der Gewinnvorteile und -maximierung wäre aus vielfältigen Gründen rechtlich wie auch verfassungsrechtlich von nicht unerheblicher Wirkung.

Das Bundesverfassungsgericht wird sein Urteil am heutigen Dienstag, 6. Dezember 2016, 10.00 Uhr, im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts, Schlossbezirk 3, 76131 Karlsruhe verkünden.

Update 6.12.2016, 10:38 Uhr zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Dreizehnte Novelle des Atomgesetzes im Wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Die Regelungen des Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. Juli 2011 („13. AtG-Novelle“) erweisen sich weitgehend als eine zumutbare und auch die Anforderungen des Vertrauensschutzes und des Gleichbehandlungsgebots wahrende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums.

1.  Die 13. AtG-Novelle verletzt die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) nur insoweit, als die Einführung fester Abschalttermine für die in Deutschland betriebenen Kernkraftwerke (§ 7 Abs. 1a Satz 1 Atomgesetz in der Fassung der 13. AtG-Novelle), einen konzerninternen Verbrauch der im Jahr 2002 jedem Kernkraftwerk gesetzlich zugewiesenen Stromerzeugungskontingente bis zu den festgesetzten Abschaltdaten nicht sicherstellt.

Hierdurch werden die durch die Eigentumsgarantie geschützten Nutzungsmöglichkeiten der Anlagen unzumutbar, teilweise auch gleichheitswidrig beschränkt.

2. Demgegenüber steht die Streichung der mit dem Elften Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 8. Dezember 2010 („11. AtG-Novelle“) den einzelnen Kernkraftwerken zusätzlich gewährten Stromerzeugungskontingente in Einklang mit dem Grundgesetz.

3. Mit Art. 14 GG unvereinbar ist zudem, dass die 13. AtG-Novelle keine Regelung zum Ausgleich für Investitionen vorsieht, die im berechtigten Vertrauen auf die im Jahr 2010 zusätzlich gewährten Stromerzeugungskontingente vorgenommen, durch deren Streichung mit der 13. AtG-Novelle aber entwertet wurden.

4. § 7 Abs. 1a Satz 1 Atomgesetz ist zunächst weiter anwendbar; der Gesetzgeber muss bis 30. Juni 2018 eine Neuregelung treffen.

Bundesverfassungsgericht – Urteil vom 6. Dezember 2016 – 1 BvR 2821/11, 1 BvR 321/12, 1 BvR 1456/12

Dies und weitere Details zur Entscheidung : Pressemitteilung Nr. 88/2016 vom 6. Dezember 2016

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